VOLLEYBALL-LIEBHABER: HANS PETER MÜLLER-ANGSTENBERGER
Hans Peter Müller-Angstenberger ist in der Szene als kreativer und impulsiver Trainer bekannt und hat sich durch seine motorischen Extravaganzen am Spielfeldrand einen besonderen Ruf erarbeitet. Seit dem Aufstieg des TV Rottenburg in die 1. Bundesliga ist Müller-Angstenberger ein Zeichen für Qualität, zu Anfang oft nicht ernst genommen, weil seine fulminanten Auftritte am Spielfeldrand, seine überbordende Motorik und seine Gestenreichtum das Spielgeschehen gelegentlich überlagern und den Verdacht an eine gezielte Selbstdarstellung nahe legten.
Zu Anfang als „Hexer“ tituliert, auch von Trainerkollegen verspottet ... hat der Rottenburger inzwischen nachgewiesen, dass er als Trainer beste Arbeit liefert, seinen eigenen Weg geht und sein Enthusiasmus am Spielfeldrand glaubwürdig ist. In der kommenden Woche wartet Müller-Angstenberger mit Rottenburg im Pokal auf die Mannschaft von MSC TrainerChang Cheng Liu ...
Einige Ansichten vom Trainer Müller-Angstenberger werden in einem Interview deutlich, welches kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien. Darin verrät Müller-Angstenberger seine geistige Nähe zu „Kloppo“, verweist auf gruppendynamische Prozesse bei Teamsportarten und forciert deutlich individuelle Ansätze im Mannschaftssport. Im folgenden einige Auszüge:
Sie machen neben dem Spielfeld Liegestütze, wenn es bei Ihrem Team nicht läuft. Es gibt einen Fußballtrainer ...
... ich kenne die Vergleiche mit Jürgen Klopp. Ein großartiger Trainer. Ich habe ihn nie persönlich gesprochen. Aber ich beobachte seine Arbeit aus der Ferne und versuche, von ihm zu lernen: von der Art, wie er seine Mannschaft motiviert; von dem grenzenlosen Vertrauen in die Fähigkeiten seiner Spieler.
Klopp ist ein Fußballtrainer.
Das macht keinen Unterschied. Ich schaue mir von vielen etwas ab. Ich hinterfrage meine Arbeit. Ständig. Ich hole mir zum Beispiel Inspirationen von Jugendtrainern.
Von Jugendtrainern? Sie coachen eine Profimannschaft.
Dennoch. Ich schaue Nachwuchstrainern zu, um nachvollziehen zu können, wie ich vor zwanzig Jahren gearbeitet habe. Von einem Landesligacoach habe ich mir die Vorteile von Life Kinetik erklären lassen und es in meiner täglichen Trainingsarbeit angewandt - mit Erfolg.
Zu den Personen, von denen Sie sich inspirieren lassen, gehört der ehemalige Olympiasieger über 5000 Meter Dieter Baumann, der im nahen Tübingen lebt. Er wurde wegen Dopings gesperrt - und streitet das bis heute ab.
Ich kenne die Geschichten, die ihn umgeben. Ob sie stimmen, weiß nur er selbst. Für mich ist er eine authentische Persönlichkeit. Wir tauschen uns zum Beispiel über grundsätzliche Auffassungen von Sport und den Leistungsgedanken per se aus.
„Die Gefahr der Hängematte“
Dass die Gruppe mehr ist als die Summe ihrer Teile ist eine sozialpsychologische Binsenweisheit. Wie sich eine Gruppe entwickelt, wie Stimmungen auftreten und sich verändern – oft nicht oder kaum kontrollierbar und manchmal mysteriös. Die Steuerung von gruppendynamischen Prozessen verlangt die Beachtung von vielerlei Aspekten. Dass sich Spieler in einer Gruppe „verstecken“ ist nur einer von vielen ... und wird mit dem Begriff „Hängematte“ umschrieben.
Was haben Sie von ihm gelernt?
Zum Beispiel die Gefahr der „mannschaftlichen Hängematte“. Ein Einzelner ruht sich aus, weil er denkt, dass das Umfeld sportlichen Misserfolg dem Kollektiv ankreidet. Mannschaftssportler neigen dazu, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das können wir uns aber nicht erlauben. Wir brauchen Impulse. Meine Jungs lernen viel von Einzelsportlern.
Zum Beispiel?
Wie sie sich punktgenau selbst programmieren. Individualsportler haben nur dieses eine Rennen, diesen einen Wettkampf. Wenn sie scheitern, fällt alles auf sie zurück. Ich habe mich mit dem Gewichtheber Matthias Steiner darüber unterhalten. Ich versuche seither meinen Spielern zu helfen, ihren Tagesablauf ideal zu planen, damit sie sich ausschließlich auf das Spiel konzentrieren können. Das sind wertvolle Erfahrungswerte: Wie lebt Steiner seinen Sport? Wie ernährt sich ein Leichtathlet? Wie bekomme ich ein Gefühl für die Bedürfnisse meines Körpers, damit ich diesen zielgerichtet auf Höchstleistung trimmen kann?
Immer interessant die Frage nach den Trainertypen: harter Hund, Gentleman, Schleifer, Elder Statesman, Formalist, Traditionalist, Anpasser, Staatsschauspieler, Arbeiter, Minimalist- die Palette ist riesig und klein zugleich. Ob gut oder schlecht ... das wird häufig allein vom Erfolg bestimmt. Müller-Angstenberger findet klare Worte:
Es gibt auch den anderen Trainertypen, der stur nach tradierten Inhalten arbeitet - der Fußballtrainer Otto Rehhagel galt als Inbegriff dieses Typus.
Den gibt es auch im Volleyball. Sie haben ihren Standpunkt, von dem sie nicht abweichen. Aber wird das den Sportlern gerecht? Ich sage: Nein. Ich bin ein großer Fan des Volleyball-Bundestrainers Vital Heynen. Er arbeitet prozessorientiert. Heynen baut neue Inhalte in seine Arbeit mit ein, teils völlig unerwartete. Sein Vorgänger, Raúl Lozano, arbeitete strikt nach Statistiken und festgefahrenen Plänen. Er war kein schlechter Coach. Aber so was ist nicht zeitgemäß. Die Spieler werden in ein Schema gepresst: Passen sie nicht rein, werden sie wieder aussortiert. Gute Einzelkönner bleiben auf der Strecke, nur, weil sich Trainer nicht wandeln.
Die Gruppe ist mehr als Summe ihrer Teile – die Qualität der einzelnen Teile sorgt für die Gesamtqualität und lässt eine neue Qualität entstehen. Die „innere Differenzierung“ im pädagogischen Betrieb sorgt für ein neues Profil in einer Gruppe, in einer Klasse. Die Berücksichtigung von Bedürfnissen kann im Erwachsenenbereich zu einer besonderen Form von Mitbestimmung führen. Die „Mitbestimmung“ ist eine Vorgehensweise, die in Teilbereichen von Wirtschaft, Industrie und Verwaltung durchaus positive Ergebnisse gezeitigt hat.
Sie sagen, Sie berücksichtigten die Bedürfnisse jedes einzelnen Spielers. Geht das überhaupt?
Ja, indem ich sie die Trainingsinhalte mitgestalten lasse. Vor einem Abschlusstraining haben sie die Chance, mir bis Mitternacht in einer SMS zu schreiben, woran sie abschließend arbeiten wollen. Das geht mitunter gegen jede Logik - scheinbar. Zum Beispiel passiert es, dass wir Krafteinheiten zwischen zwei unmittelbar aufeinander folgende Spiele schieben. Da schüttelt manch Außenstehender den Kopf. Aber: Der Spieler fühlt sich gut, weil er individuell vorbereitet ist. Und ich kann sie in die Pflicht nehmen: Seht her! Wir haben genau das gemacht, was ihr wolltet. Jetzt könnt ihr euch nicht mehr herausreden.
Dazu braucht ein Trainer Spieler mit Charakter, die kritikfähig sind.
Die habe ich in meiner Mannschaft. Vertrauen ist ein langer Prozess. Du musst es als Trainer vorleben. Sind meine Spieler der Meinung, ich hätte falsche Entscheidungen getroffen, dürfen sie es mir sagen. Sie sprechen untereinander über ihre Schwächen. Im Mannschaftssport wollen viele immer nur Konkurrenzsituationen schaffen. Das ist kontraproduktiv. Im Volleyball muss die Abstimmung binnen Sekundenbruchteilen passen. Jeder muss die Stärken seines Partners kennen - und die Schwächen. Bei uns kommt alles zur Sprache.
Und so können Sie mit unerfahrenen und mutmaßlich weniger begnadeten Spielern Erfolg haben?
Davon bin ich überzeugt. Nur ein Team, das eigene Ansprüche und Fähigkeiten kritisch hinterfragt, kann scheinbare individuelle Mängel ausgleichen. Das haben der Einzug ins DVV-Pokal-Halbfinale sowie unsere Siege gegen Friedrichshafen und Haching bewiesen.
Etwa 210.000 Euro fehlten noch im März im Etat des TV Rottenburg für die kommende Saison in der Volleyball-Bundesliga - mehr als ein Drittel des gesamten Finanzplanes. Nach dem Rückzug zweier Hauptsponsoren war der Engpass so groß, dass das Management damals noch nicht sagen kann, wie es weitergehen sollte. Inzwischen hat man die Probleme zum größten Teil gelöst ... die Rottenburger bleiben der Bundesliga erhalten und Hans Peter Müller-Angstenberger auch.
So stellt die FAZ fest: Sportlich sind die Schwaben konkurrenzfähig, weil sie einen ausgeflippten Volleyball-Liebhaber zum Trainer haben, der mutmaßlich unterlegene Spieler mit unkonventionelle Methoden zu Höchstleistungen trimmt.