JETZT BLOSS NICHT ABHEBEN ... ES IST NOCH NICHT SOWEIT!
Nachdem nun die Wellen der Begeisterung nach dem WM-Qualifikationsturnier langsam ausgelaufen, die Helden von Ludwigsburg wieder in der Nationalmannschaft zusammen gekommen sind ... und die Weltliga (Deutschland herabgestuft!) begonnen hat, sollte man vielleicht doch einmal in Sachen Nationalmannschaft mit ein klein wenig Nüchternheit Bilanz ziehen.
So nebenbei: Die überschwängliche Bewertung der Qualifikation durch DVL und DVV gehört zur üblichen Kür – keinen Kommentar hat man von den Verbands-Herren zur Tatsache gehört, dass beim Deutschen Pokalfinale in Halle mit Max Günthör und Robert Kromm nur zwei deutsche Ex-Internationale auf dem Parkett gestanden haben – sonst nur Volleyballer aus dem Ausland. Der Bundestrainer hat´s gemerkt und in seinem letzten Interview – schon lange fällig – den Gedanken „Ausländerbeschränkung“ geäußert. Eine wirklich substantielle Äußerung von Vital Heynen ...
Nicht nur deshalb hat der neue Bundestrainer Vital Heynen Respekt verdient. Er hat die aktuelle Mannschaft weitergebracht: profundes Wissen um den modernen Männer-Volleyball, kommunikationsfähig, intelligente Steuerung des Spiels, eine gelungene Ansprache bei allen Maßnahmen die mit Team Building zu tun haben, Schaffung eines neuen Selbstbewusstseins bei den Spielern und dem begleitenden Team, eine glückliche Hand bei der Spielerauswahl ...
All diese Dinge kamen in Ludwigsburg – wie auch schon zum größten Teil in Sofia und London – zum Tragen ... bei der letzten EM nicht so sehr. Wobei in Ludwigsburg einschränkend darauf hingewiesen werden muss, dass man es hier mit zweit- bzw. drittklassigen Gegnern zu schaffen hatte. Mannschaften, die im FIVB Ranking zwischen den Plätzen 40 und 50 reagieren, kann man nicht so ohne weiteres als Parameter heranziehen. Die Kroaten lustlos, die Esten hoffnungslos, die Türken einfallslos. Keine der Teams in Ludwigsburg hat das deutsche Team in wirkliche Bedrängnis bringen können – also konnte die deutsche Mannschaft auch nicht (noch nicht) nachweisen, wie sie unter Bedrängnis gegen Gegner mit größerer Klasse spielt.
Wenn nun mit großem Optimismus (z.B. im Sportteil der FAZ) von Rio (Olympische Spiele 2016) und vom WM Turnier in Polen 2014 gesprochen wird, darf man vielleicht doch auch darauf hinweisen, dass die Mannschaft zwar insgesamt stärker geworden ist, aber einen großen Teil ihrer Stärke dem „Hammerschorsch“ verdankt. Der ist bescheiden genug zu sagen: „Es geht auch ohne mich!“ Aber ob das gegen stärkere Gegner hilft, sei dahingestellt.
Ob vollmundige Aussagen – wie von Heynen kürzlich auf der WL-PK getätigt – weiterhelfen, ist ebenfalls fraglich: „Wir wollen auf der WM 14, der EM 15 oder den OS 16 eine Medaille holen ...!“
Ohne Grozer jun. wird es in der Spitze nicht reichen
Grozer sorgt nicht nur für Punkte, er sorgt auch für ein Gefühl der Sicherheit: da ist immer noch jemand, der die Dinge regeln kann – wie in seinem aktuellen Heimatverein Belgorod. Da mühte sich Grozer´s Team unjüngst in der Champions League bei Budva bis zum 10:10 im Tiebreaker. Dann schritt „Hammerschorsch“ zur Tat und bediente den Gastgeber mit fünf Hammer-Sprungaufschlägen. 15-10 für Grozer. Nicht ohne Grund hat sich Belgorod erst kürzlich erneut den russischen Pokal geholt – und es war auch Grozer, der in der Champions League den „final touch“ beisteuerte und Platz 3 in der Meisterschaft sicherte ... und auch maßgeblich zum Gewinn der Clubweltmeisterschaft beitrug.
Grozer liefert Extra-Klasse im Block und beim Angriff, er ist der einzige Spieler (Jochen Schöps gelegentlich), der mit seinen Hammeraufschlägen und der Variante Top Spin Serve wirklich Punkte in Serie machen kann. Der Rest des Teams spielt mittelprächtige Jumpfloats (oft nicht druckvoll genug!), welche bei Teams aus dem unteren Teil des FIVB Ranking Wirkung zeigen. Auch bei den Spitzenteams? Die Jumpfloats müssen verbessert werden – wenn es bei der WM mehr Wirkung geben soll. Auch in der Annahme wird es gegen Spitzenteams schwerer werden – da kann man die Mannschaft quälen ... und es gibt kaum Ersatz.
Was bleibt von der Quali in Ludwigsburg? In jedem Falle positiv denken und optimistisch bleiben – aber auch daran denken, dass mit Russland, Brasilien, USA, Polen, Italien, Bulgarien (man denke an London: viermal eine 0:3 Klatsche im Finalturnier!) ganz andere Kaliber im WM- oder OS-Turnier sind als in Ludwigsburg. Also: ein eher bescheidener Optimismus ist angesagt.
In der World League wurde man herabgestuft - trotz Finalteilnahme in 2012 in Bulgarien. Vielleicht ganz gut so: in der vor uns liegenden WL-Spielrunde kann das deutsche Team (gegenwärtig Platz 10 im FIVB Ranking) Dominanz üben. Gegen Japan (Platz 17 im Ranking), Frankreich (Platz 16) und Argentinien (Platz 7) müssen Siege (auch ohne Grozer jun.!) her, wenn man in Zukunft in die Medaillenränge will.
Libero