WM-NACHLESE „IN DER GESAMTHEIT“

MÄNNER PLATZ 3, FRAUEN PLATZ 9

„Ich glaube, dass der deutsche Volleyball in seiner Gesamtheit so stark wie noch nie dasteht!“ posaunte der DVV Präsident Krohne noch während der Frauen-WM im Sportteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus. Wenn er sich da mal nicht vertut.

Die deutsche Herren-Nationalmannschaft hat bei der WM in Polen Bronze gewonnen – und das ist auch gut so. Die Freude beim Team selbst war und ist berechtigt – die vielen Nebengeräusche irritieren: allerlei Funktionärsgemurmel, die Sucht etwas vom Glanz mitzubekommen, die zahlreichen Versuche etwas für die deutsche Szene und Volleyball-Bundesliga abzustauben, die gegenseitigen Glückwünsche.

Man könnte ja auch mal einen Blick auf einige Facetten der angeblich „starken Gesamtheit“ werfen.

Man kann einen Sieg als einen Sieg betrachten – und damit hat es sich dann. Man kann aber den Sieg auch in Relation zum Gegner sehen, oder zur Gruppe oder zur Gesamtanlage. Dann sind einige Anmerkungen fällig – wie zum Beispiel: Deutschland als Nr. 3 in der Welt ist allenfalls eine glückliche Momentaufnahme ... unter anderem deshalb, weil man massiv vom Austragungsmodus und/mit der schwachen Vorrundengruppe profitiert hat. Von wegen „so stark wie nie“.

Außerdem: wer weiter relativiert und genauer auf´s Personal schaut, kommt am Thema Georg Grozer jun. nicht vorbei. Wer den Ex-Moerser (vor wenigen Tagen erneut mit Belgorod beim SuperCup gegen Kazan erfolgreich – Glückwunsch Georg!) aus der deutschen Nationalmannschaft herausnimmt, wird sein blaues Wunder erleben. Ohne Grozer geht’s nicht – und das bedeutet, dass das Zeitfenster für die deutsche Nationalmannschaft immer kleiner wird. Georg macht´s vielleicht noch bis 2016 in Brasilien – im kommenden Jahr wohl noch die EM. Dann ist Schluss mit „so stark wie noch nie“.

US Trainer Karch Kiraly - in seiner Gesamtheit so stark wie nie: als Spieler Gold Indoor, Gold auf Sand, jetzt als Trainer Weltmeister.

Die DVV-Frauen haben mit Nationaltrainer Giovanni Guidetti in der Vorrunde aus verschiedenen Gründen kein Punkte-Polster anlegen können – und sind auch daran gescheitert. Da war der Herr Krohne aber wirklich verärgert. Keine Medaille, ts ts. In der FAZ: „Sie wirkten pomadig und ängstlich.“ Wieder in der FAZ: „Ich wollte am liebsten auf´s Feld rennen und fragen, wovor sie Angst haben.“ Vielleicht vor dem „deutschen Volleyball in seiner Gesamtheit“ ... !?

Was Guidetti seit Jahren geleistet hat ist immens – und hat viele Schwächen im deutschen Volleyball überlagert. Welche Selektions- und Aufbaumöglichkeiten hat denn ein Bundestrainer, wenn in der Bundesliga vornehmlich internationale Volleyball-Wanderer beschäftigt sind: siehe der Kader der „Ladies in Black“ aus der letzten – und in der aktuellen Saison. Eine (1!) deutsche Spielerin. Soviel zum Thema „Der deutsche Volleyball in seiner Gesamtheit!“ Kein Wunder, wenn ein Trainer da müde wird: „Immer die gleiche Pasta!“

Der Herr Krohne und die anderen Top-Funktionäre sollten vielleicht doch einmal folgende Aspekte in Sachen „Deutscher Volleyball“ zur Kenntnis nehmen: während Belgien, die USA, Brasilien und viele anderen Nationen mit eigenen starken Trainern anreisen, muss der deutsche Volleyball Experten aus dem Ausland anheuern. Immer noch ?! Wo ist denn eigentlich die starke deutsche Trainerkompetenz ...?

Vor einem Jahr bei den Open Try Out unter 230 Bewerberinnen entdeckt - jetzt MVP bei der WM: Kimberley Hill

Und: welche Spieler sind denn in der Bundesliga aktiv? In Russland spielen allenfalls zwei Ausländer pro Vereinsteam, in Brasilien niemand – oder vielleicht einer. In Frankreich spielen deutlich mehr Franzosen als Ausländer, in Polen auch nur zwei pro Mannschaft – wie in China und in Japan; Italien hat bei den Ausländern reduziert. Und bei uns? Immerhin wird bei uns mit „Respekt“ gepunktet.

In der Bundesliga „wickelten“ sich nach der letzten Saison gleich vier (nur im Herrenbereich!)  Vereine ab: Bottrop, Moers, Haching und Rumeln. Das Deutsche Pokalfinale startete im letzten Jahr mit 10 Spielern aus dem Ausland und zwei deutschen Spielern: Kromm bei Berlin, Günthör bei Friedrichshafen, das war´s. Starke deutsche Szene „in der Gesamtheit“?

Man kann  auch noch weiter nach unten schauen – zur Basis. In den Regionalligen und darunter nimmt die Zahl der Spielgemeinschaften von Vereinen stark zu. Häufige Praxis: viele Clubs melden Teams an und ziehen dann zum Saisonstart zurück. Auch das gehört zur „Gesamtheit“.

Es steht zu befürchten, dass der Gewinn einer Medaille (siehe oben) die Problemzonen im Verband und in der Volleyball-Family überlagert. Konzept „Yolo“? Da hat sich Bundestrainer Vital Heynen etwas Lustiges ausgedacht. Der Belgier ist ja für seinen frischen Humor bekannt. Altijd vers, Vital. Aber selbst diese etwas alberne Nummer hört sich noch besser an als die sportpolitische Mega-Erkenntnis vom „deutschen Volleyball in seiner Gesamtheit ... so stark wie noch nie“.

Libero